Cover
Titel
Anglo-Norman Studies XLII. Proceedings of the Battle Conference 2019


Herausgeber
Church, Stephen David
Reihe
Anglo-Norman Studies (XLII)
Erschienen
Woodbridge 2020: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
185 S.
Preis
£ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Waßenhoven, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die „Anglo-Norman Studies“ enthalten die Vorträge der jährlich stattfindenden „Battle Conference“ und sind ein etablierter Bestandteil der Forschung zur anglo-normannischen Geschichte des Früh- und Hochmittelalters. Der vorliegende Band ist aus der Tagung im Jahr 2019 hervorgegangen und vereint neun Beiträge, die den zeitlichen Bogen vom Ende des 10. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts spannen. Schwerpunkte liegen auf der politischen Geschichte, der vier Beiträge gewidmet sind (Cubitt, Williams, Hagger, Ruffini-Ronzani), sowie der Historiographie, die in drei Beiträgen im Vordergrund steht (Gillingham, McNair, Rozier); weitere Themen sind die Wirtschafts- (Cavell) und Rechtsgeschichte (Summerlin). In einigen Beiträgen kommen zudem überseeische Beziehungen (Hagger, Ruffini-Ronzani, McNair) und Geschlechtergeschichte (Cavell, MacNair) zur Sprache.

Catherine Cubitt eröffnet den Band mit einer Neubewertung der Herrschaft Æthelreds II. in den Jahren 993–1005/6 auf Basis der Kritik, die zeitgenössische Autoren – allen voran Ælfric von Eynsham und Erzbischof Wulfstan II. von York – geäußert haben. Sie argumentiert, dass die Krise der letzten Jahre von Æthelreds Herrschaft nicht allein aus den intensiven dänischen Angriffen resultiert, die letztlich zur Eroberung Englands führten, vielmehr wurzelt sie auch in den Auseinandersetzungen innerhalb des Adels, die bis in die 990er-Jahre zurückreichen, sowie in der Unbeliebtheit von Æthelred. Damit lenkt Cubitt den Fokus weg von äußeren Einflüssen auf England und hin zu Fragen von Königsherrschaft und Administration. Sie sieht Æthelred in einem weniger positiven Licht als Simon Keynes, Levi Roach und andere, die in den letzten Jahren Biographien zu Æthelred vorgelegt haben, weil der König als militärischer und politischer Anführer versagt habe. Ann Williams zeichnet in ihrem Beitrag die sich wandelnde Erinnerung an Harold Godwinson nach, der 1066 die Schlacht von Hastings und damit die englische Königsherrschaft an die Normannen verlor. Sie beschreibt zunächst, inwiefern Harolds Ansprüche auf den Thron legitim waren, bevor sie vor diesem Hintergrund auf die Versuche insbesondere normannischer Autoren eingeht, Harold jegliche Legitimität abzusprechen. Der quellengesättigte Überblick über die Darstellung von Harold nimmt aber auch positive Einschätzungen späterer Autoren von Eadmer über Wilhelm von Malmesbury, Johannes von Worcester und Gerald von Wales bis hin zur Vita Haroldi vom Beginn des 13. Jahrhunderts in den Blick, wobei die Motive für diese unterschiedlichen Darstellungen teils nur angeschnitten werden. Am Ende geht Williams auf ihre eigene Motivation ein, die man knapp mit dem Appell „zurück zu den Quellen“ skizzieren kann. Dabei verweist sie auf E.A. Freeman, der zwischen 1867 und 1879 ein sechsbändiges Werk zur normannischen Eroberung verfasste. Williams preist seine Quellenkenntnis (die tatsächlich als außergewöhnlich zu bezeichnen ist) und schreibt: „I’d be happy to stand at the right hand of Edward Augustus Freeman.“ (S. 43) Das bezieht sich auf dessen Aussage, er hätte Harold zur Seite gestanden, wenn er bei der Schlacht von Hastings beteiligt gewesen wäre. Dass Freeman damit ein nationalistisches Bild entwirft und in seinen Büchern letztlich die „Angelsachsen“ als überlegenes Volk zeichnet, erwähnt Williams nur am Rande, indem sie auf seine „Vorurteile“ (S. 43) hinweist, denen man nicht zustimmen müsse. Letztlich aber hinterlässt das Lob auf Freeman bei mir einen schalen Beigeschmack.

Im dritten Beitrag wendet sich Emma Cavell Wales zu, genauer dem Kloster Monmouth. Sie untersucht ein Dokument von ca. 1100, das eine Auflistung mit Schenkungen an das Kloster enthält und drei Frauen eine Beteiligung an der Gründung des walisischen Klosters (ca. 1080) zuschreibt. Nach einer ausführlichen Beschreibung und Untersuchung des Dokuments nimmt sie die Beteiligung der Frauen an der Klostergründung in den Blick, wobei sie die Bedeutung und Macht adeliger Frauen in der zu kolonisierenden Region Wales hervorhebt. Die beigefügte Schwarz-Weiß-Abbildung (S. 48) gibt leider nur einen groben Eindruck des Originals, während die von Cavell angesprochenen paläographischen Merkmale, die sie für die Datierung des Dokuments heranzieht, sich leider nicht nachvollziehen lassen. John Gillingham bietet eine neue Interpretation von Eadmers Historia Novorum auf Basis der Annahme, Eadmers Ziel der Darstellung sei, die beiden Exile Anselms zu rechtfertigen und zu erklären, warum er Canterbury so lange fernbleiben musste. Neben dieser apologetischen Absicht diskutiert Gillingham aber auch mit Blick auf das erste Exil, welche Briefe und Gegebenheiten Eadmer möglicherweise bewusst ausgelassen hat, um Wilhelm Rufus in ein schlechtes Licht zu rücken.

Mark Hagger untersucht die Herrschaftsdurchdringung Heinrichs II. in der Normandie am Beispiel Roberts von Torigni, dem Abt von Mont-St-Michel, zunächst anhand der persönlichen Beziehung der beiden, dann anhand der Kontakte Roberts mit der lokalen und regionalen Administration, die vor allem durch örtliche Richter geschah. Hagger zufolge habe Heinrich die grundherrschaftliche Jurisdiktion nicht unterminiert, sondern gestützt. Die Normandie steht auch im Zentrum des Beitrags von Fraser McNair, der Sex, Gewalt und Maskulinität in Dudo von St-Quentins Historia Normannorum untersucht. Sex und Gewalt seien bei Dudo zwei Kennzeichen herzoglicher Autorität, was McNair anschließend durch eine Einbettung in den literarisch-kulturellen Kontext um die Jahrtausendwende als spezifisch normannische Sicht ausmacht, in der männliche Sexualität vornehmlich positiv konnotiert ist (nicht nur bei Dudo), während in westfränkischen und ostfränkischen Texten der Zeit eher die negativen Seiten überwiegen. Eine Parallele zu den normannischen Texten liegt dagegen in der Skaldendichtung vor, so dass McNair schlussfolgert, dass die Darstellung maskuliner Sexualität in einem skandinavischen Kontext eine öffentliche Rolle für den Herrschaftsanspruch spielen konnte, während das in einem fränkischen Kontext nicht der Fall war. Historiographische Texte stehen auch im Zentrum des Beitrags von Charles C. Rozier, der sich die Frage stellt, warum Kompilatoren aus Durham zwischen ca. 1100 und ca. 1130 mehrere historiographische Werke produzierten. Er untersucht kleinere Werke, in denen oft auch komputistische Texte und Ostertabellen enthalten sind, und stellt fest, dass aktuelle Debatten um die Natur der Zeit sowie um chronologische Fragen die Aktivitäten in Durham befeuert haben. Es handelte sich also nicht um eine verspätete Reaktion auf die sozialen und politischen Umbrüche, die die normannische Eroberung von 1066 mit sich brachte.

Im vorletzten Beitrag untersucht Nicolas Ruffini-Ronzani die Beziehungen zwischen den Grafen von Löwen (ab ca. 1100 auch Herzöge von Niederlothringen, für die sich ab ca. 1200 die Bezeichnung als Herzöge von Brabant etablierte) und dem anglo-normannischen Adel. Er nimmt dabei vor allem zwei Ereignisse in den Blick: die Hochzeit zwischen Heinrich I. von England und Adeliza von Löwen 1121 sowie die Verhandlungen zur Freilassung von König Richard Löwenherz 1194, an denen Herzog Heinrich I. von Brabant entscheidend beteiligt war. Das Verhältnis intensivierte sich laut Ruffini-Ronzani im 12. Jahrhundert, wobei zwischen ca. 1130 und 1190 eine Unterbrechung festzustellen ist. Die Beziehungen, von denen beide Seiten profitierten, waren allerdings nie so intensiv wie die zwischen den englischen Königen und den Grafen von Flandern. Den Schlusspunkt setzt Danica Summerlin, die sich der Ausbildung von ‚neuem Recht‘ zuwendet, also von Sammlungen kanonischen Rechts, die sich insbesondere auf päpstliche Schreiben (Dekretalen) konzentrieren. Sie argumentiert, dass in England und der Normandie unterschiedliche Beiträge zu diesem ‚neuen Recht‘ geleistet wurden, obwohl es mit König Heinrich II. denselben Herrscher gab. Die Tatsache, dass englische Sammlungen eine höhere Anzahl von zeitgenössischen päpstlichen Briefen aufweisen als solche aus anderen Regionen, führt sie im Kern darauf zurück, dass Thomas Becket sein Amt als Erzbischof von Canterbury ab 1164 bis zu seinem Tod 1170 eher dem Namen nach als in der Praxis ausübte. Weil der englische Metropolit fehlte, suchten die Bischöfe die Autorität des Papstes, so dass englische Kompilatoren kanonischen Rechts schon früh auf päpstliche Dekretalen zurückgreifen konnten.

Fachleute zur englischen und normannischen Geschichte werden den Band ohnehin zur Kenntnis nehmen, allen anderen sei insbesondere Summerlins Beitrag zum kanonischen Recht anempfohlen. Wie bei den Anglo-Norman Studies üblich, gibt es weder eine Zusammenfassung noch explizite Querbezüge. Die einzelnen Beiträge weisen einen breiten thematischen Zuschnitt auf und sind durchgehend von hervorragender wissenschaftlicher Qualität.